Die Pandemie überfordert die Menschen, Handelsblatt, Montag 10. Januar 2022, Nr. 6
Der Chef der Buchinger Wilhelmi Fastenkliniken über Folgen von Corona und neue Klinikangebote per App.
Regelmäßig fasten – das kennt Leonard Wilhelmi schon seit Kindestagen. Kein Wunder: Sein Urgroßvater, der Marinearzt Otto Buchinger, gründete die 1953 die bekannte Fastenklinik in Überlingen, in ruhiger Hanglage direkt am Bodensee, mit Blick auf die Alpengipfel. Seit dem Frühjahr 2019 leitet Leonard Wilhelmi die Klinik in vierter Generation. Sein Bruder Victor Wilhelmi und die gemeinsame Cousine Katharina Rohrer-Zaiser steuern die Geschicke des zweiten Standorts im spanischen Marbella. Für das Handelsblatt nimmt sich Leonard Wilhelmi in der ersten Januarwoche Zeit für ein virtuelles Treffen, um über Fasten im Jahr 2022 zu sprechen – mitten während seines Umzugs und zu Beginn seiner eigenen Fastenkur.
Buchinger Wilhelmi Fastenklinik in Überlingen
Herr Wilhelmi, viele Menschen nutzen den Jahresbeginn, um nach den Feiertagen weniger zu essen. Kommt bei Ihnen auch nichts mehr auf den Tisch?
In der Tat faste ich zweimal pro Jahr – immer Anfang Januar und kurz vor meinem Geburtstag Mitte Juni. Das mache ich schon 15 Jahre so. Ich gehe dabei nach der klassischen Buchinger Wilhelmi Methode vor, verzichte also für zwei Wochen auf feste Nahrung und fange in der Woche danach an, die Kalorienzufuhr langsam zu steigern. Gerade nehme ich vor allem Gemüsebouillons und frische Fruchtsäfte zu mir. Im Sommer gehe ich immer zu meinen Geschwistern in die Klinik nach Marbella.
Die Pandemie verlangt uns schon viel ab. Warum sollten wir jetzt auch noch aufs Essen verzichten?
Durch Corona ist die emotionale Belastung überall gestiegen. Fasten ist nichts anderes als die Rückkehr in eine Balance – das gilt auch mental. Ernährungspausen gehen immer damit einher, achtsamer zu sich zu sein. Zudem hilft Fasten gegen Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck, also gegen Faktoren, die den Verlauf einer Coronainfektion verschlimmern können. Aus Präventionssicht spricht also vieles für eine Fastenkur.
In den eigenen vier Wänden liegt Intervallfasten im Trend. Dabei lässt man entweder das Frühstück oder das Abendessen weg, macht also eine längere Essenspause. Was halten Sie davon?
Das ist aus meiner Erfahrung ein einfacher und erfolgversprechender Einstieg ins Fasten, weil es den Stoffwechsel trainiert. Unser Körper ist nicht dafür gemacht, dreimal am Tag und dazwischen noch Snacks zu essen. Wichtig ist, dass man sich nicht zu hohe Ziele steckt, dann kann auch das Fasten zu Hause gelingen.
Klingt fast, als könnte man sich den Aufenthalt in Ihren Kliniken sparen.
Intervallfasten eignet sich für das heimische Fasten. Unsere Fastenmethode, bei der unsere Gäste über einen längeren Zeitraum nur 200 bis 250 Kalorien am Tag zu sich nehmen, sollte man unter medizinischer Aufsicht machen. Wir wissen, was dem Gast guttut und stehen ihm mit unserem Servicegedanken rund um die Uhr zur Verfügung.
Warum kommen auch Manager zu Ihnen? Um, je nach Zimmer, zwischen 3000 und 16.000 Euro pro Woche zu zahlen, obwohl sie kaum etwas zu essen bekommen?
Private Spitzenmedizin hat ihren Preis. Auf jeden Gast kommen hier im Schnitt zwei Mitarbeiter. Unsere Gäste leben in Zimmern, die je nach Kategorie das Niveau eines Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels haben. Zudem gibt es jeden Tag von acht bis 21 Uhr ein Programm – egal ob Massagen, Yoga oder liebevoll geführte Wanderungen, die besonders beliebt bei Gästen aus Metropolen sind. Wir verstehen uns als eine Mischung aus Privatklinik, Hotel und Kloster. Manche unserer Gäste sind krank und brauchen ärztliche Unterstützung, andere sind präventiv hier und weil sie unsere Anlage direkt am Bodensee schätzen. Die dritte Gruppe sind Menschen, die abschalten wollen, weil sie etwa unter Burn-out leiden.
Ärzte berichten von mehr psychischen Erkrankungen infolge der Pandemie. Stellen Sie das auch fest?
Eindeutig. Die Zahl unserer Gäste, die durch Corona psychisch krank sind, wird immer größer. Die Menschen sind von der Pandemie mental überfordert, sie suchen nach Möglichkeiten, damit klarzukommen. Wir haben unsere Inspirationsangebote ausgebaut, es gibt mehr Mediationsmöglichkeiten oder Achtsamkeitstrainings. Unsere Gäste wollen nicht mehr nur fünf Kilogramm abnehmen. Sie wollen auch Werkzeuge an die Hand bekommen, wie sie mit Stress umgehen können.
Sie versprechen diese körperliche und seelische Rundumerneuerung durch Suppe, Gemüsebrühe und Kräutertee. Ist das nicht mehr Esoterik als Wissenschaft?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir erstellen seit zehn Jahren in Zusammenarbeit mit international angesehenen Universitäten wissenschaftliche Studien mit unseren Gästen. So haben wir etwa mit der Berliner Charité die größte Fastenstudie der Welt veröffentlicht. Wir sind also das weltweit größte Labor für Fastende. Unsere Erhebungen zeigen, dass Fasten eine potente therapeutische Wirkung hat. Menschen fühlen sich danach besser oder haben weniger Giftstoffe im Blut. Fasten hilft sogar denjenigen, die unter Long Covid leiden.
Fasten ist ein Mittel gegen die Corona-Langzeitfolgen?
Wir arbeiten dazu gerade an einem Papier. Was jetzt schon erkennbar ist: Wir können bei unseren Gästen erste Erfolge verzeichnen. Neuronale Störungen und körperliche Schmerzen nehmen durchs Fasten ab. Wir hatten beispielsweise einen Gast, der nach seiner Coviderkrankung kein Klavier mehr spielen konnte. Nach 14 Tagen bei uns konnte er wieder musizieren. Auch für den geistigen Reset ist Fasten das Beste, was man für sich machen kann.
Wie ist Ihr Betrieb eigentlich durch die Pandemie gekommen?
Wir sind eine Klinik und kein Hotel, deshalb mussten wir – unter Beachtung strenger Hygieneauflagen – nie schließen. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 haben wir einen sehr starken Rückgang der Buchungszahlen verzeichnet. Für das Gesamtjahr konnten wir aber fast die Belegungszahlen von 2019 erreichen, das gilt auch für das abgelaufene Jahr. Neu ist, dass wir viele kurzfristige Buchungen erhalten, die Menschen planen nicht mehr so lange im Voraus. Wir haben anders als früher keine Wartelisten mehr von einem halben Jahr. Wegen der Reisebeschränkungen zählen wir deutlich weniger Gäste aus dem Ausland, dafür mehr inländische.
Was erwarten Sie für das neue Jahr?
Für 2022 bin ich ganz optimistisch, wenn sich die Lage stabilisiert. Auf Dauer könnte sich Corona für uns positiv auswirken, Fasten ist durch die Krise für immer mehr Menschen eine attraktive Therapieoption geworden.
Sie sprechen von möglichen positiven Effekten der Pandemie – zumindest in Fragen der Digitalisierung hatte Corona die ohne Frage. Auch bei Ihnen?
Wir verstehen uns weniger als „High Tech“ denn als „High Touch“ – ein Besuch bei uns lässt sich nicht virtuell kompensieren. In der Pandemie haben wir von vielen Gästen Anrufe bekommen, dass sie auch zu Hause betreut werden wollen. Wir wollen deshalb dieses Jahr eine App herausbringen. Wir planen zum Beispiel, darüber einwöchige virtuelle Fastenkurse anzubieten. Denkbar sind auch Yoga- oder Meditationsangebote, damit die Gäste das hier Erlernte zu Hause fortsetzen können. Viele unserer Stammgäste wollen einfach digital mit uns in Kontakt bleiben.
Stammgäste? Manche Patienten sind regelmäßig bei Ihnen?
Tatsächlich kommen etwa 70 Prozent unserer Gäste regelmäßig wieder. Für einige haben wir sogar eine Hausarztfunktion. Sie kommen einmal im Jahr zum Fasten und lassen sich gleich gesundheitlich durchchecken. Mit einmal Fasten ist es ja auch nicht getan. Wir müssen regelmäßig Fasten, um in unserem natürlichen Rhythmus zu bleiben.
In der Wirtschaft geht es nicht ums Fasten, sondern ums Wachsen, das wissen Sie als Betriebswirt. Wie sehen Ihre Expansionspläne aus?
Wir haben zwei Zukunftspläne. Einen, den wir vor – und einen, den wir während Corona gemacht haben. Ich möchte weitere Standorteröffnungen für die Zukunft nicht ausschließen, im Moment liegt unser Hauptaugenmerk allerdings auf unseren existierenden Kliniken. In Familienunternehmen spricht man gern von einer Generationsaufgabe. Doch wenn man kurz vor einer Pandemie das Geschäft übernimmt, ist es vermessen, von großen Plänen zu sprechen. Wir wollen uns in den nächsten Jahren alle Optionen anschauen.
Wäre nicht auch eine Option, Fastenjoghurts oder -suppen im Handel anzubieten? Solche Produkte liegen im Trend.
Wir wollen uns auf das Topsegment konzentrieren. Wir sind der einzige Anbieter, der mehr als 100 Jahre Erfahrung hat und unseren Gästen individuelle Fastenmöglichkeit anbietet. Sollte Nestlé auf uns zukommen mit einer Kooperationsidee, werden wir uns das sicherlich anschauen. Grundsätzlich wollen wir uns auf Spitzenmedizin für ein internationales Klientel konzentrieren.
Sie haben den Betrieb 2019 übernommen. Was machen Sie anders als Ihr Vater?
Ich trage keine Krawatte mehr und lasse mich von meinen Mitarbeitern duzen. Aber im Ernst: Ich versuche, ein paar Akzente zu setzen. Ich habe einen großartigen Chefkoch für uns gewinnen können, der vorher über zehn Jahre Küchendirektor im Hamburger Hotel „Vier Jahreszeiten“ war und der ein moderneres kulinarisches Konzept verfolgt. Mein Vater ist sehr musikalisch, das bildete sich auch im Gästeprogramm ab. Ich lege den Schwerpunkt auf das Thema Achtsamkeit, deshalb baue ich unseren Inspirationsbereich aus. Wir arbeiten auch stärker an den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. In fünf Jahren soll unsere Klinik ausschließlich mit grüner Energie betrieben werden.
Die Übergabe ist weitgehend geräuschlos abgelaufen. Täuscht der Eindruck?
Jeder, der ein Familienunternehmen von seinen Eltern übernimmt und sagt, dass alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, hat eine Wahrnehmungsstörung. Natürlich gab es auch bei uns Knatsch am Anfang. Aber wir wurden auf die Übernahme professionell und sehr langfristig vorbereitet, auch durch einen Coach.
Jeder, der ein Familienunternehmen von seinen Eltern übernimmt und sagt,
dass alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, hat eine Wahrnehmungsstörung.
— Leonard Wilhelmi
Wie oft mischen sich Ihre Eltern noch ins Geschäft ein?
Es wäre unklug, die Expertise unserer Eltern nicht zu nutzen, beide sitzen auch in unseren Beiräten. Sie haben auch schon mal die Firma übernommen und wissen, was ihnen damals auf die Nerven gegangen ist.
Herr Wilhelmi, danke für das Gespräch.
Die Fragen stellte Michael Scheppe.
Vita
Die Klinik
Die Fastenklinik Buchinger Wilhelmi in Überlingen am Bodensee wurde im Jahr 1953 von Otto Buchinger gegründet. Er erprobte die Wirkung des Heilfastens 1919, als er durch Nahrungsentzug sein Gelenkrheuma besiegte. 1973 eröffnete der Standort im spanischen Marbella. In den Kliniken fasten die Patienten nach einem Entlastungstag acht bis zehn Tage mit einer aus Fastensuppe und Obst- und Gemüsesäften bestehenden Kost. Danach folgen drei Aufbautage. Der Besuch kostet, je nach Zimmer, zwischen 3000 und 16.000 Euro pro Woche. Rund 5000 Patienten zählen die Kliniken jedes Jahr. 2019 machten sie laut Bundesanzeiger 46 Millionen Euro Umsatz.
Buchinger Wilhelmi Überlingen – Klinikgelände mit Bodensee
Der Leiter
Leonard Wilhelmi wurde 1987 in der Schweiz geboren. Er studierte International Business Management in St. Gallen (Schweiz) und San Diego (USA). Er arbeitete für eine Unternehmensberatung und eine Telekommunikationsfirma, bevor er 2017 in der elterlichen Klinik einstieg. Seit März 2019 ist er Geschäftsführer der Klinik am Bodensee.
Leonard Wilhelmi – Leiter der Buchinger Wilhelmi Klinik in Überlingen
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