INTERVIEW MIT DR. LISA GREEN
Wie sich der Bereich Psychologie bei Buchinger Wilhelmi entwickelt hat
Die Fastenerfahrung geht weit über den körperlichen Aspekt hinaus – das wusste Otto Buchinger bereits vor über 100 Jahren. In den Buchinger Wilhelmi Kliniken hat deshalb die psychologische Ebene schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Inzwischen bieten wir in beiden Kliniken Coachings und psychologische Beratung verschiedener Art an. Dr. Lisa Green unterstützt uns in diesem Bereich seit mittlerweile 10 Jahren und teilt im folgenden Interview spannende Hintergründe über die Entwicklung des psychologischen Bereichs und warum Fasten der ideale Zeitpunkt ist, um emotional aufzuräumen.
Hallo, Frau Dr. Green. Möchten Sie uns zuerst einmal kurz erklären, was Ihre Rolle in unserer Klinik am Bodensee ist?
Sehr gerne. Ich bin promovierte klinische Psychologin, Psychoonkologin und systemische Familientherapeutin. Ich komme also aus der psychologischen Wissenschaft, bringe aber auch die Therapieausbildung und -erfahrung mit. Als ich vor 10 Jahren bei Buchinger Wilhelmi angefangen habe, übernahm ich recht schnell die Teamleitung. Mein Auftrag war es, den Bereich auszubauen und sozusagen zukunftsfähig zu machen. Heute heißt die Abteilung „Psychotherapie und Coaching“.
Wie haben Sie die Entwicklung des Bereichs Psychotherapie in den letzten 10 Jahren erlebt?
Mein Fokus ist die psychologische Begleitung und Beratung unserer Patient:innen. Ich möchte die Anzahl der Gäste, die in diesen Genuss kommen, erhöhen. Immerhin geht die psychische und körperliche Gesundheit Hand in Hand. Mein Ziel in den letzten Jahren war es deshalb, das Bewusstsein unserer Mitarbeiter:innen und Gäste zu erweitern, damit sie wahrnehmen, welchen großen Beitrag sie zu ihrer Gesundheit leisten, indem sie konstruktive sozialen Beziehungen führen, ihre emotionalen Bedürfnisse erfüllen und auf ihren inneren Dialog achten.
Einige wichtige Fragen, die wir in den Gesprächen stellen, sind:
- Woher kommen meine Werte?
- Lebe ich das Leben, das ich selbst will oder erfülle ich eher die Erwartungen anderer Menschen?
Ein Leben, das nicht den eigenen Werten entspricht, kann eine große Belastung sein und sogar zu Erkrankungen führen. Auch hier wird wieder klar: Psychologie und Medizin sind untrennbar. Umso bedeutender ist die Prävention.
Deshalb ist eine weitere wichtige Entwicklung, die ich umgesetzt habe, die Psychoedukation: Mittlerweile gibt es im Wochenprogramm zwei bis drei psychologische Beiträge pro Woche. Dabei geht es um viele verschiedene Themen, die für unsere Patient:innen relevant sind: Selbstwert, Resilienz, Stressreduktion, Kommunikation und Achtsamkeit.
Seit Neuestem arbeite ich vermehrt mit der internen Forschungsabteilung zusammen und unterstütze sie bei psychologischen Themen, wie zum Beispiel emotionale Balance. Es ist schön zu sehen, dass das Thema Psychologie auch in unseren Studien immer mehr an Bedeutung gewinnt. Etwas, das mir bei Buchinger Wilhelmi besonders positiv auffällt: Als Psychologin bin ich ein fester und anerkannter Teil des medizinischen Teams und die Zusammenarbeit mit den Ärzt:innen klappt hervorragend.
Wie unterstützen Sie und Ihr Team die Gäste beim Fasten?
Zunächst einmal unterstützen wir alle Gäste mithilfe des psychoedukativen Ansatzes. Im Rahmen unseres Wochenprogramms kann jeder an Entspannungstrainings und Vorträgen rund um psychologische Themen teilnehmen.
Wer ein Einzelgespräch mit uns vereinbart, dem helfen wir beispielsweise bei der Aufarbeitung familiärer, beruflicher oder innerpsychischer Themen. Manchmal sind das auch diese Gründe, die jemanden dazu veranlasst haben, überhaupt zu Buchinger Wilhelmi zu kommen. Bei der Therapie begleiten wir die Menschen bei ihrer Introspektion durch bestimmte Fragetechniken. So finden sie eigene Antworten auf ihre Lebensfragen. Häufig geht es auch um eine Neuorientierung nach dem Klinikaufenthalt.
Aktuell definieren wir gemeinsam mit dem Team aus unserer Klinik in Marbella, was Psychologie bei Buchinger Wilhelmi bedeutet. Obwohl sich der Bereich Psychologie dort separat entwickelt hat, merken wir: Unser Wertesystem ist das gleiche.
Weshalb ist das Fasten so ein guter Zeitpunkt, um nach innen zu schauen?
Das Fasten fördert Introspektion, also Selbstbeobachtung.
Gleichzeitig haben die Gäste bei uns die Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Dadurch, dass Ablenkungen durch äußere Reize fehlen, kommen Emotionen hoch, die vielleicht zuvor verdrängt wurden. Die Seele wird offen, wenn bisherige Verdrängungsmechanismen (wie Alkohol, übermäßiges Essen und Arbeit) wegfallen und Dinge kommen oft ganz von allein auf. Manchmal passiert das bei Massagen oder Körperbehandlungen, denn Geist und Körper sind miteinander verbunden. Gelöste körperliche Blockaden setzen oft Emotionen frei, die mit Gedanken oder Überzeugungen zusammenhängen. Diese Zusammenhänge werden im Beratungsgespräch klarer. Während einer Fastenkur ist also ein idealer Zeitpunkt, um Emotionen aufzuarbeiten, statt sie wegzudrücken. Und genau dafür sind wir da. Wir möchten unsere Gäste auffangen und ihnen helfen, mit diesen Dingen umzugehen.
Obwohl die Länge des Aufenthaltes meistens nur ein paar Therapiestunden erlaubt, sind die Patient:innen in einem besonderen und empfänglichen Mindset, sodass oft in nur kurzer Zeit schon eine große Entwicklung passiert. Manchmal ist sogar nur ein einzelnes Gespräch als Impuls ausreichend.
Glauben Sie, dass immer mehr Menschen offen für psychologische Unterstützung werden?
Ich würde sagen, die Offenheit dafür ist kulturell, generationsbedingt und natürlich individuell unterschiedlich. Es kommt immer darauf an, was man mit Psychotherapie verbindet. Allgemein sind zum Beispiel jüngere Menschen eher offener als ältere. Meine, vielleicht subjektive, Wahrnehmung ist, dass psychologische Unterstützung gut angenommen wird – vielleicht sogar immer besser. Gerade dann, wenn Menschen von mehreren Stellen (z.B. durch andere Gäste und Ärzt:innen) den Hinweis bekommen, buchen sie gerne ein Gespräch bei uns.
Welche psychologischen Angebote gibt es bei Buchinger Wilhelmi?
Vor 10 Jahren gab es vor allem Psychotherapie, Paartherapie und das berufliche Coaching. Inzwischen haben wir zahlreiche gesprächsorientierte Angebote, die auf verschiedene Fragestellungen eine Antwort bieten. Dazu gehört neben der psychologischen Beratung auch das Life Coaching, das Health Coaching, das Mental Health Coaching, das Adipositas-Programm und die psychoonkologische Beratung (psychische Aufarbeitung einer Krebserkrankung). Außerdem bieten wir autogenes Training und Kunsttherapie an. Es ist aber kein Problem, wenn Gäste nicht genau wissen, was das richtige für sie ist. Wir holen jeden Menschen da ab, wo er gerade steht und finden gemeinsam mit ihm den richtigen Weg. Die Vielfalt unserer Angebote zeigt, wofür psychologische Hilfe alles gut sein kann.
Was können Sie Menschen mitgeben, die nervös davor sind, sich psychologischen Rat zu holen?
Zunächst einmal können die Angebote aus dem Wochenprogramm kostenfrei genutzt werden und bieten vielleicht schon einen kleinen Einstieg in das Thema. Es kann auch sehr hilfreich sein, mit anderen Gästen und Ärzt:innen darüber zu sprechen.
Mit einem psychologischen Gespräch kann man im Grunde nie falsch liegen, denn man kann daraus immer etwas Positives für sich selbst ziehen. Wir haben in unseren Gesprächen eine sehr akzeptierende Umgebung. Hier gibt es keine Kritik, Zurechtweisung oder Wertung. In dieser Atmosphäre der Akzeptanz schauen wir gemeinsam, was die Person braucht und was ihr guttut. Es ist gewissermaßen „Balsam für die Seele“.
Vielen Dank für diese spannenden Einblicke, Frau Dr. Green! Wo können sich Gäste bei Interesse über die psychologischen Angebote in den Kliniken informieren?
Im Booklet mit allen Therapien finden Sie auch die psychologischen Angebote. Vor Ort können Sie das Thema bei der Therapieplanung ansprechen und sich individuell einen Termin buchen lassen. Wir unterstützen Sie während dem Erstgespräch beim Finden der richtigen Therapie.
