Artikel Schweizer Illustrierte Ausgabe 26/2022, Text: Silvia Binggeli, Fotos: Mirjam Kluka
Quick Fixes gibt es nicht
Françoise Wilhelmi de Toledo ist Fastenärztin mit Weltruf. Nun hat die gebürtige Genferin ihre Klinik am Bodensee den beiden Söhnen übergeben – ein Gespräch über Wille, Einkehr und Tiefkühlpizza.
GRUEN: Françoise Wilhelmi de Toledo, wie sind Sie zum Fasten gekommen?
Als junge Frau hatte ich gesundheitliche Probleme. Ich fing an, mich mit Ernährung zu beschäftigen. Damals war das Wissen über den Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung noch wenig verbreitet. Fasten war in der Medizin erst recht kein Thema.
Sie studierten Medizin in Ihrer Heimatstadt Genf – keine Selbstverständlichkeit für eine junge Frau in den 1970er-Jahren.
Ich stamme aus einer Apothekerfamilie. Mein Vater war ein großartiger Mensch mit viel Weitsicht. Er fand, dass seine Töchter studieren sollten. Er dachte aber auch, er wüsste, was gut für mich sei, und ging davon aus, dass ich das Familienunternehmen weiterführe. Doch ich wollte Medizin studieren. Das musste ich ihm erst einmal beibringen.
Und im Studium fanden Sie Gleichgesinnte zum Thema Ernährung?
Keiner der Professoren konnte mir Auskunft über die Philosophie des Fastens geben. Später, während meiner Praktika, gab ich mein Wissen über die Ernährung weiter. Doch die Professoren pfiffen mich zurück. Sie sagten: Lassen Sie doch meine Patienten in Ruhe. Das Essen ist die letzte Freude, die sie haben.
Sie heirateten Raimund Wilhelmi und kamen an die international renommierte Fastenklinik in Überlingen. Gegründet hat die Klinik der Großvater Ihres Mannes, Otto Buchinger. Was verbindet Sie mit dem Pionier Buchinger, der das Heilfasten bereits ab 1920 als Arzt weitergab?
Er hat wie ich die Wirkung des Heilfastens am eigenen Körper erlebt: Er war schwer an Rheuma erkrankt in einer Zeit, in der es noch keine Behandlung gab. Durch das Fasten ist er innerhalb von drei Wochen symptomfrei geworden. Alles, was er danach geschaffen hat, war getragen von seiner Überzeugung.
Worum genau geht es beim Fasten?
Um Zellmüllentfernung, Zellregeneration und um die Verminderung von Entzündungen. Vor allem: Beim Fasten nimmt man sich Zeit. Schaut nach innen. Fragt sich: Was entwickelt mein Potenzial, und was ist nur Routine, die mir eigentlich schadet?
Wo liegen die Grenzen?
Fasten ist populär geworden. Große Firmen kommen nicht mehr um das Thema herum. Doch meist picken sie einen Aspekt heraus, entwickeln ein Produkt, versprechen viel. Vielleicht erzielt man kurzfristige Erfolge. Aber der Mensch verändert sich nicht.
Was bedeutet das konkret?
Wir sollten nicht abhängig von Produkten sein. Stattdessen sollten wir unsere Selbstheilungskräfte wieder entdecken. Fasten, Bewegung, Schlaf, Ernährung, emotionales Gleichgewicht – diese fünf Säulen bringen Lebensqualität. Mittel und Produkte dienen dabei nur als Ergänzung. Das genetische Programm des Fastens ist in jedem Menschen und in jedem Tier angelegt. Wie könnten wir sonst die Nacht überleben, ohne zu essen? Und wie hätten wir sonst überlebt, als es noch keine Möglichkeit gab, Essen zu lagern, und wir Nahrung nur als Fett im Körper speichern konnten?
2019 haben Sie und Ihr Mann die Leitung der Klinik an Ihre beiden Söhne Leonard und Victor übergeben. Victor Wilhelmi, wie sehr standen Sie unter Druck, in die Fußstapfen Ihrer Eltern zu treten?
Victor Wilhelmi: Es gab nie einen Erwartungsdruck. Weil die Generation vor uns viel mehr Druck hatte, und den wollten sie nicht weitergeben.
Leonard Wilhelmi: Irgendwann sagten unsere Eltern: Jetzt müssen wir über die Übergabe reden. Aber ihr seid total frei, diesen Weg zu gehen oder ihn nicht zu gehen.
Wie sah der Weg aus?
Françoise Wilhelmi de Toledo: Ich hatte mit Ende fünfzig beschlossen, einen Master im Bereich Familienunternehmen zu absolvieren. Diese Strategie haben wir dann gemeinsam angewandt: Wir haben alles auf den Tisch gelegt, alte Geschichten, die nicht geklärt waren, Bilanzen. Wir haben besprochen, wer wie viel verdient, wer was mitbringen muss, um Verantwortung zu übernehmen. Victor Wilhelmi: Wir definierten außerdem, welche Werte wir teilen. Was wir für die Familie wollen und was für das Unternehmen.
Leonard Wilhelmi: Wir haben ein Vokabular definiert, einen Umgangston, in dem wir ohne Emotionen diskutieren können. Wir lernten uns auf einer anderen Ebene kennen.
Victor Wilhelmi: Bei der Strategieentwicklung ist es wie beim Fasten: Man sollte nicht erst damit anfangen, wenn eine Krankheit schon da ist.
Hand aufs Herz, Leonard, Victor, waren Sie immer schon begeistert von der Leidenschaft Ihrer Eltern?
Victor Wilhelmi: Nun ja, ich erinnere mich daran, wie meine Mutter einmal nach einem Wochenende, an dem wir allein zu Hause waren, im Papierkorb den Karton einer Tiefkühlpizza entdeckt hat. Sie hat uns angeschaut, als hätten wir die letzten fünfzehn Jahre rein gar nichts kapiert (lacht).
Françoise Wilhelmi de Toledo: Aber danach habe ich ihnen bei der Italienerin in der Nähe ein offenes Konto eingerichtet. Sie mussten zwar eine gewisse Strecke zurücklegen, um an die frischen Lebensmittel dort zu kommen. Aber sie durften einkaufen, wonach sie Lust hatten.
Leonard Wilhelmi: Wir haben ein Vokabular definiert, einen Umgangston, in dem wir ohne Emotionen diskutieren können. Wir lernten uns auf einer anderen Ebene kennen.
Victor Wilhelmi: Bei der Strategieentwicklung ist es wie beim Fasten: Man sollte nicht erst damit anfangen, wenn eine Krankheit schon da ist.
Vor ihrer international renommierten Fastenklinik in Überlingen – mit Gründer Otto Buchinger als Statue im Hintergrund: Françoise Wilhelmi de Toledo mit ihren Söhnen Leonard (r.) und Victor.
Worin liegt heute für Sie der Wert des Fastens?
Leonard Wilhelmi: Bei uns zu Hause kamen immer viele spannende Gäste aus der Klinik vorbei. Künstler, Buchautoren, Politiker, Unternehmer. Bei den Gesprächen spielte es keine Rolle, wer sie waren. Aber ich habe früh mitbekommen, dass alle eine gute Erfahrung gemacht haben, dass es unter dem Strich danach allen besserging, oder, um es etwas plakativ zu sagen: Ihre Augen haben geleuchtet.
Victor Wilhelmi: Durch das Fasten kommst du in eine Welt, in der du einmal durchgeschüttelt wirst. Danach geht’s dir besser. Viele sagen, es sei eine Art Garage oder TÜV, in der du einen Reset erlebst.
«Du wirst einmal durchgeschüttelt. Danach geht es dir besser. Es ist eine Art Garage, in der du überholt wirst.»
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Wieso ist Fasten zum Trend geworden?
Victor Wilhelmi: Durch die Pandemie wurden wir alle aus den Mechanismen des Alltags geworfen. Wir fragen uns, wohin sich die Welt bewegt und in welche Richtung wir persönlich gehen wollen. Täglich sagen uns Leute: Ich will etwas verändern. Oft wissen sie noch nicht, was. Aber nach ein paar Tagen kommt eine Klarheit. Nach dem Fasten verändern viele ihre berufliche Situation, verarbeiten Trennungen oder räumen im Freundeskreis auf.
Inwiefern haben sich die Ansprüche Ihrer Gäste verändert?
Leonard Wilhelmi: Als wir 2019 übernommen haben, dachten wir: Jetzt machen wir alles anders. Wir machen alles besser. Dann kam Corona, und es ging gar nichts mehr. Ein paar wenige Gäste sind im Lockdown bei uns gestrandet. Wir konnten ihnen nur ein stark reduziertes Programm anbieten und haben befürchtet, dass sie damit nicht zufrieden sein würden. Doch das Gegenteil ist passiert. Da haben wir realisiert: Es geht nicht nur um Hotelkategorien oder um einen besonders freien Blick auf den See. Es geht um die Möglichkeit, hier eine sehr persönliche Fastenerfahrung zu machen.
Victor Wilhelmi: Zu Beginn fragten viele: Wollt ihr jetzt ein jüngeres Publikum anziehen? Doch unabhängig vom Alter: Wir wollen Gäste, die sich auf diese Erfahrung einlassen und dafür Zeit mitbringen. Wer hingegen unter einem Selbstoptimierungszwang handelt, nach einer Expresslösung sucht oder nach der größten Gewichtsreduktion, wird bei uns nicht glücklich werden.
FASTEN AM SEE
Dr. Otto Buchinger (1878 bis 1966) empfing seine ersten Fasten-Patienten bereits ab 1920. 1953 eröffnete er seine Klinik in Überlingen am Bodensee mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn. Das Familienunternehmen, zu dem heute auch eine Klinik in Marbella gehört, wird nun in der vierten Generation geführt: von Leonard und Victor Wilhelmi sowie deren Cousine Katharina Rohrer-Zaiser.
Leonard studierte an der Hochschule St. Gallen Wirtschaft, Victor an der École hôtelière de Lausanne. Von ihrer Mama Dr. Françoise Wilhelmi de Toledo übernehmen die beiden nebst international renommiertem Forschungswissen im Fasten auch die französische Muttersprache der gebürtigen Genferin.
Text: Silvia Binggeli / Fotos: Mirjam Kluka
Buchinger Wilhelmi
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