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Reise ins Unbekannte – Ein Erfahrungsbericht

Ich war in einem tiefen Loch! Das Aufstehen erschien unmöglich und meine Tage waren tränenreich. Schon die geringste Anstrengung erschöpfte mich völlig. Ich frühstückte, aß zu Mittag, aß zu Abend, schlief. Ich habe nicht gelesen, keine Musik gehört und manchmal konnte ich sogar nur mit geschlossenen Augen fernsehen! Eines Tages sah ich einen Dokumentarfilm über das Fasten, aber ich konnte nichts davon aufnehmen.

Einige Zeit später besuchte mich mein Sohn und erzählte mir von einem Fasten-Programm, dessen Wirkung ihn sehr beeindruckt hatte. Sein Enthusiasmus schaffte es, meine Erinnerung an die Dokumentation zu wecken und so überzeugte er mich, den Film noch einmal anzusehen. Es war der Film „Fasten und Heilen“ der auf ARTE lief. In den folgenden Tagen erkundigte ich mich und entschied mich nach mehreren E-Mails und einem Anruf, mich ins Unbekannte zu stürzen. Was hatte ich zu verlieren, außer den drei oder vier Kilos, die ich zu viel hatte?

Das Abenteuer begann an einem Sonntag im November, etwa siebenhundert Kilometer von Paris entfernt. Ich kam am frühen Nachmittag an und erhielt ein kleines, komfortables und angenehmes Zimmer sowie eine Broschüre, in welcher der Ablauf und die verschiedenen Pflegeeinrichtungen erläutert wurden. Die Klinik befand sich in einem schönen Garten an den Hängen des Bodensees mit Zen-Atmosphäre ohne Telefone und Bildschirme – hier würde ich mich ausruhen können. Das vegetarische Abendessen, das um 18.30 Uhr serviert wurde, brachte mich mit mehreren Franzosen zusammen, von denen jeder einen anderen Grund für den Aufenthalt hatte. Einige von ihnen kamen regelmäßig seit vielen Jahren.

Nach einer ruhigen Nacht hatte ich einen Termin für eine Blutuntersuchung und wenig später folgte der erste Arztbesuch. Mein Arzt sagte mir, dass ich Fasten dürfe, aber auch körperliche Übungen machen müsse. Für letzteres bot die Klinik Wanderungen, Gymnastikstunden, Tennisunterricht, ein Fitnessstudio, einen Pool und vieles mehr.

Zunächst wird der Organismus durch einen sogenannten Entlastungstag auf das Fasten eingestimmt. Dabei werden ca. 600 Kalorien in Form von Obst und Gemüse aufgenommen, also überwiegend Kohlenhydrate, kein Fett, nur sehr wenig Eiweiß. Ich entschied mich für einen Entlastungstag mit Früchten.

Um siebzehn Uhr gab es einen Cocktail aus Sprudelwasser, Fruchtsaft und einem Minzblatt, um die Neuankömmlinge zu begrüßen und den Fastenablauf vorzustellen. Folgendes würde mich in den kommenden Tagen also erwarten:

Das Fasten beinhaltet bei Buchinger Wilhelmi einen Löffel Honig und Tee am Morgen, ein Glas frisch gepressten Fruchtsaft mittags, eine Gemüsebrühe am frühen Abend und Kräutertees und Wasser nach Belieben während des Tages. Es ist möglich, dass man sich an den ersten zwei oder sogar drei Tagen hungrig fühlt und ein leichtes Unbehagen auftreten kann. Jeden Morgen überprüft eine Krankenschwester das Befinden sowie Gewicht, Blutdruck und Puls. Ich war gespannt…

Am dritten Tag startete das eigentliche Fasten. Jeden Abend gab es Vorträge, Lesungen oder Konzerte. Während einem der Vorträge erfuhren wir, wie es dem Organismus gelingt, ohne Essen zu leben. Während des Fastens schaltet der Stoffwechsel um: Mangels Zufuhr von äußerer Nahrung wandelt der Körper Fettdepots in alternative Kraftstoffe um. So gelingt es dem Körper, mehrere Tage oder sogar Wochen zu fasten.

Jeden Morgen bemerkte ich einen kleinen Gewichtsverlust, keine riesigen Sprünge, aber kontinuierlich zweihundert oder dreihundert Gramm weniger. Außerdem wich meine Anspannung, mein Puls wurde regelmäßiger. Ich habe mich während des Fastens nie schlecht gefühlt, war jedoch immer noch skeptisch gegenüber den Vorteilen des Fastens. Eines Abends jedoch fiel der Aufzug aus und ich musste die drei Stockwerke zu meinem Zimmer zu Fuß hinaufsteigen. Hierbei bemerkte ich, dass das Treppensteigen viel weniger schlimm war, als ich mir vorgestellt hatte! In der darauffolgenden Nacht war ich überrascht, wie leicht es mir fiel, mich zu Bett zu legen. War mein Rücken weniger schmerzhaft? Und plötzlich bemerkte ich auch, dass sich meine Hände fast schmerzlos bewegten.

Nach vier Tagen langsamer Rückkehr zu fester Nahrung verließ ich die Klinik, um einige Tage in unserer Hütte in Haute Maurienne zu verbringen. Ich wollte nicht die Neugier der Menschen um mich herum wecken und musste für mich selbst im Alltag wieder auf die Beine kommen. Nachdem ich den Kokon der Klinik verlassen hatte, war ich skeptisch, ob die Wirkung im Alltag anhalten würde und ich das Gelernte auch zu Hause würde anwenden können. Die Ergebnisse übertrafen jedoch alle meine Erwartungen und ich begann endlich wieder zu leben.

A. B.

Seit ihrem ersten Aufenthalt fastet die Patientin regelmäßig und war 2017 bereits das siebte Mal bei uns. Heute schreibt sie: „Nach fünfzehn Jahren fand ich dank Fasten und einem jährlichen Aufenthalt in der Klinik Buchinger Wilhelmi in Überlingen wieder in mein Leben zurück. Es ist sicherlich kein Wunder, aber seit meiner ersten Erfahrung komme ich jeden Tag aus dem Bett und schaffe es, alleine zu leben.“