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Spermidin, Fasten & Langlebigkeit

NEUE ERKENNTNISSE AUS DER ZELLFORSCHUNG

Spermidin: Essentiell für Fasten-vermittelte Autophagie & Langlebigkeit

Gesund älter werden und möglichst lange fit und leistungsfähig bleiben – wer wünscht sich das nicht? Die Longevity- oder auch Well-Aging-Forschung untersucht seit vielen Jahren, welche Maßnahmen, körpereigenen Mechanismen und Substanzen den biologischen Alterungsprozess bremsen, typische Alterserkrankungen verhindern und uns ein möglichst langes, gesundes Leben ermöglichen können. Eine der körpereigenen Substanzen, deren Rolle in diesem Kontext zurzeit intensiv erforscht wird, ist Spermidin. Die Buchinger Wilhelmi Klinik in Überlingen konnte mit einer neuen, in der renommierten Fachzeitschrift Nature Cell Biology publizierten Studie wichtige Erkenntnisse über die Rolle von Spermidin beim Fasten liefern und so zugleich einen Beitrag zur Erklärung der vielfältigen gesundheitlichen Effekte einer Fastenkur leisten.

Was ist Spermidin?

Spermidin ist ein biogenes Polyamin – ein körpereigener Stoff, der in allen menschlichen Körperzellen und allen lebenden Organismen vorkommt. Auch bestimmte Darmbakterien können Spermidin produzieren. Seinen Namen verdankt es der Tatsache, dass es erstmals in Sperma nachgewiesen wurde. Der Organismus benötigt Spermidin, um lebensnotwendige Zellreinigungsprozesse – die sogenannte Autophagie – anzustoßen.

Dieser faszinierende Botenstoff ist durch die Evolutionsgeschichte hindurch und über alle Arten hinweg, von Pflanzen bis hin zum Menschen, erhalten geblieben – als ein universeller Mechanismus, der zusammen mit mTOR, einem zentralen Regulator des Zellwachstums und Zellstoffwechsels, die Reaktionen der Zelle auf ihre Umgebung feinjustiert.

Wie wirkt Spermidin?

Bereits 2018 zeigte eine von den Universitäten Innsbruck und Graz publizierte Studie, dass sich eine spermidinreiche Ernährung positiv auf die Lebenserwartung und die Zellgesundheit auswirken kann. Weitere Studien beschäftigten sich mit der Wirkung von Spermidin auf die kognitive Leistung bei alternden Modellorganismen, auf chronische Entzündungen (z.B. Arthritis) und die Darmgesundheit. Auch hier sind positive Wirkungen zu verzeichnen. Spermidin kann offenbar dazu beitragen, die Nervenzellen flexibel zu erhalten und die Telomere, die schützenden „Endkappen“ auf den Chromosomen, die sich mit zunehmendem Alter verkürzen und abbauen, zu stabilisieren.

Diese zellverjüngende und gesundheitsfördernde Wirkung von Spermidin beruht in erster Linie auf seiner Funktion als Signalgeber für den Autophagie-Prozess: Fehlerhaft gefaltete Proteine, nicht mehr funktionsfähige oder nicht mehr benötigte Zellstrukturen werden abgebaut und zu neuen Zellbausteinen recycelt. Weil die Spermidin-Produktion mit zunehmendem Alter nachlässt (das beginnt bereits mit etwa 35 Jahren) und der Autophagie-Prozess infolgedessen schwächer und ineffizienter wird, häufen sich mit der Zeit Ablagerungen in den Zellen, die Erkrankungen wie Arteriosklerose, Diabetes, Krebs und Demenz begünstigen.

Die Langlebigkeitsforschung beschäftigt sich daher mit der Frage, ob und wie sich hier gegensteuern lässt: Kann die körpereigene Spermidin-Produktion (wieder-)angekurbelt werden? Welche Effekte hat eine spermidinreiche Ernährung? Kann auch eine Supplementierung durch entsprechende Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein? Gibt es vielleicht auch unerwünschte Nebenwirkungen?

Spermidin und Fasten

Eine 2024 in der renommierten Fachzeitschrift Nature Cell Biology veröffentlichte Studie unter Beteiligung von Françoise Wilhelmi de Toledo und Franziska Grundler von der Buchinger Wilhelmi Klinik in Überlingen lieferte wesentliche Ergebnisse im Hinblick auf die Rolle von Spermidin beim Fasten. Grundlage der Studie waren Proben von 109 Teilnehmenden aus der sogenannten „Detox-Studie“ und einer Untergruppe der weltweit größten Fastenstudie, einer einjährigen Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2016. Gemessen wurde der Gehalt an Polyaminen und deren Metaboliten in den Proben. Die Auswertung der Messungen ergab einen einheitlichen Anstieg des Polyamingehalts beim Fasten.

Mit anderen Worten: Fasten, intermittierendes Fasten und Kalorienreduktion können die Spermidinkonzentration in den Zellen signifikant erhöhen. Überdies fand das Team heraus, dass diese Erhöhung der körpereigenen Spermidinkonzentration eine Grundvoraussetzung für die vitalisierenden Effekte des Fastens darstellt. Wurde die Spermidinsynthese nämlich versuchsweise blockiert, gingen die positiven gesundheitlichen Effekte des Fastens verloren.

Spermidin spielt also eine wichtige Rolle für die Wirksamkeit von Fastenprogrammen. Wie die Studienergebnisse zeigen, besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Fasten, Spermidinkonzentration und einer verbesserten Autophagie, die für ein langes und gesundes Leben wichtig ist. Daraus lässt sich unter anderem schließen, dass auch beim Langzeitfasten nach Buchinger Wilhelmi die Autophagie aktiviert wird und dass Spermidin ein Marker für diese Aktivierung sein könnte.

Vorteile einer spermidinreichen Ernährung

Der gesundheitliche Nutzen einer spermidinreichen Ernährung wird seit einigen Jahren intensiv erforscht. Alle bisherigen wissenschaftlichen Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein hoher Gehalt an Spermidinlieferanten in der Ernährung sich positiv auf die Zellgesundheit, das Immunsystem und die Lebenserwartung auswirkt und das altersbedingte Nachlassen der kognitiven Leistung hinauszögern kann.

Spermidin ist in sehr vielen Nahrungsmitteln enthalten, allerdings oft nur in sehr geringer Menge. Eine hervorragende Spermidinquelle sind Weizenkeime; weitere gute pflanzliche Quellen mit mittlerem Spermidingehalt sind Pilze, grüne Erbsen, Sojabohnen, Blumenkohl, Brokkoli und Kartoffeln. Besonders viel Spermidin liefert gereifter Käse wie Cheddar oder Parmesan. Auch Muscheln und Wild enthalten nennenswerte Mengen an Spermidin.

Die Fachliteratur empfiehlt derzeit eine tägliche Zufuhr von 1–5 mg Spermidin. Hier ein paar Beispiele für Nahrungsmittel, mit denen sich der tägliche Bedarf auf natürliche Weise decken lässt:

  • 20 g Cheddar (2 mg Spermidin)
  • 100 g Blumenkohl (3 mg Spermidin)
  • 150 g grüne Erbsen (10 mg Spermidin)
  • 200 g gekochte Sojabohnen (10 mg Spermidin)
  • 15 g Weizenkeime, z.B. als Salat-Topping (4 mg Spermidin)

Ist es sinnvoll, Spermidin zu supplementieren?

Angesichts der vorliegenden Forschungsergebnisse über die positiven Wirkungen von Spermidin mag der Gedanke naheliegen, auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzugreifen. Denn warum sollte man sich der Herausforderung regelmäßigen Fastens stellen oder bewusst auf eine spermidinreiche Ernährung achten, wenn man dieselben Effekte auch ganz bequem mit ein oder zwei Kapseln täglich erreichen kann? So einfach ist es aber nicht. Bislang konnte jedenfalls keine Studie am Menschen belegen, dass die Einnahme spermidinhaltiger Nahrungsergänzungsmittel gesunden Menschen irgendeinen Nutzen bringt. Wie eine placebokontrollierte Studie des Lübecker Instituts für Ernährungsmedizin gezeigt hat, kommt das über Nahrungsergänzungsmittel zugeführte Spermidin selbst in einer höheren Dosis als in den meisten Präparaten üblich nicht dort an, wo es Wirkung entfalten könnte, sondern wird offenbar bereits vorher verstoffwechselt und abgebaut.

 

Hat Spermidin auch unerwünschte Nebenwirkungen?

Aus bisherigen Studien sind keine negativen Nebenwirkungen von natürlichem Spermidin bekannt. Eine Überdosierung durch den Verzehr spermidinreicher Nahrungsmittel scheint ausgeschlossen; allerdings warnt die Verbraucherzentrale vor der langfristigen Einnahme hochdosierter spermidinhaltiger Nahrungsergänzungsmittel, weil deren Wirkung noch nicht ausreichend erforscht sei. Wer von den positiven Effekten dieses Polyamins auf Gesundheit und Langlebigkeit bestmöglich profitieren möchte, sollte daher lieber auf regelmäßiges Fasten und eine spermidinreiche Ernährung setzen.

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